Bildungsstudie BiKS: Migranten setzen übergroße Hoffnungen in das deutsche Bildungssystem
Insbesondere bei türkischen Einwanderern ist in Deutschland die Diskrepanz zwischen den ambitionierten Zielen einerseits und den schwachen schulischen Leistungen andererseits besonders ausgeprägt. Die Bildungsstudie BiKS (Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter) der Otto-Friedrich-Universität Bamberg untersuchte, wie es zu diesen überhöhten Bildungsaspirationen von Migranten kommt.
Dabei werteten die Bildungsforscher Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld, Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie I, Ilona Relikowski, Erbil Yilmaz und ihr Team etwa 2000 qualitative und quantitative Interviews aus. Sie konnten nachweisen, dass für Migranten vor allem das soziale Aufstiegsmotiv bei der Bildungswahl im Vordergrund steht. Gerade türkische Migranten verfügen im Vergleich zu Einheimischen (aber auch zu anderen Einwanderergruppen) über niedrigere Bildungsabschlüsse und werden daher sehr häufig in den unteren Rängen der Berufshierarchie platziert. Was sie selbst schulisch und beruflich nicht erreichen konnten, sollen nun ihre Kinder schaffen. Hoher Bildung wird dabei ein besonderer Stellenwert als Instrument für späteren Arbeitsmarkterfolg beigemessen. Für die Realisierung dieser Ziele setzen die Migranten große Hoffnung in das deutsche Bildungssystem, da es aus ihrer Sicht sehr viel bessere Möglichkeiten verspricht, einen hohen Abschluss zu erzielen.
Die Hoffnung auf ein besseres Leben für die Generation der Kinder durch Bildung wird in der Literatur mit dem Begriff Immigrant Optimism beschrieben. Diesen Optimismus haben besonders jene Migranten, die aus Ländern stammen, in denen der Zugang zu höherer Bildung erschwert ist. Nicht nur der individuelle Bildungshintergrund oder die eigene berufliche Situation spielen also eine entscheidende Rolle, sondern vor allem auch die strukturellen Möglichkeiten auf höhere Bildung im Herkunftsland, an welchen sich die Eltern orientieren.
Die Bamberger Bildungsstudie liefert Hinweise darauf, dass dieser Bildungsoptimismus durch eine relativ geringe Informiertheit über das deutsche Schulsystem verstärkt wird. Migranten nehmen die Selektionsmechanismen in Form von Schulnoten und ihre eingeschränkte Wahlfreiheit beim Übertritt in die weiterführenden Schulformen weniger wahr als einheimische Eltern. Sie tendieren dazu, das Lernen und die Förderung der Schüler an die Lehrer zu delegieren. Vor allem türkische Migranten neigen dazu, die Schulleistungen ihrer Kinder stark zu überschätzen, was in besonders hohen Bildungszielen resultiert.
Viele Migranten haben nur geringen Einblick in den Schulalltag und können das Kind in schulischen Belangen nur wenig unterstützen. Aufgrund der damit einhergehenden Informationsdefizite formieren sich ihre Bildungsziele eher auf Basis einer globaleren Wahrnehmung des Kindes, also z.B. auf der Grundlage eines Gefühls, dass ihr Kind gerne in die Schule geht und Freude am Lernen hat.
Die Resultate der Bamberger Bildungsstudie zeigen außerdem, dass Informationsdefizite dieser Art durch einen geringeren Integrationsgrad verstärkt werden. Gehen Migranten Beziehungen mit einheimischen Partnern ein und sind sie mit der deutschen Sprache, Kultur und Lebensweise besser vertraut, so schwächen sich deren teilweise unrealistische Bildungsziele deutlich ab. Dass insbesondere türkische Einwanderer solch hohe Bildungsaspirationen aufweisen, hängt also auch mit ihrer stärkeren Konzentration in innerethnischen Netzwerken in Deutschland zusammen.In den Interviews mit türkischen Eltern hat sich schließlich herausgestellt, dass einige der Auffassung sind, ihr Kind würde in der Schule diskriminiert bzw. benachteiligt werden. Durch diese Wahrnehmung von Diskriminierung werden ihre hohen Bildungsaspirationen weiter verstärkt. Denn die Migranteneltern versuchen diese Benachteiligung durch die Wahl höherer Schulformen auszugleichen.
Die Studie mit dem Titel „Wie lassen sich die hohen Bildungsaspirationen von Migranten erklären? Eine Mixed-Methods Studie zur Rolle von Bildungsdifferenzen, Informationsdefiziten und antizipierter Diskriminierung“ wird in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie erscheinen.
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