Buchbesprechung: "Friedrich II – Der Sizilianer auf dem Kaiserthron"
In der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges befreiten die Panzer des US-Generals Patton weite Teile Süd- und Westeuropas von der NS-Herrschaft. Überraschend tauchen sie auch als Erzählmotiv in der neuesten Biographie eines Herrschers aus dem Hochmittelalter auf – in Olaf B. Raders grandiosem Portrait des letzten Stauferkaisers Friedrich II (1194-1250). So schnell stoßen sie nach ihrer Landung an der Südküste Siziliens nach Palermo vor, dass die Porphyr-Särge mit den Gebeinen des Imperators und seiner nächsten Angehörigen dort im Dom verbleiben müssen.
Der Befehl zum Abtransport war von Hermann Göring gekommen. Denn für Teile der NS-Elite bedeutete der Mann aus Apulien, dessen Reich sich von der Nordsee bis fast zur nordafrikanischen Küste dehnte, eine frühe Verkörperung der Idee deutscher Weltherrschaft. Britische Historiker hingegen sahen in ihm aufgrund seiner politisch-moralischen Skrupellosigkeit und persönlichen Grausamkeit einen Vorläufer Hitlers im 13.Jhdt. Für Friedrich Nietzsches Geschmack war er „der erste Europäer“.
Die Urteile der Mit- und Nachwelt über den Enkel Friedrich Barbarossas polarisieren sich in schroffen Antithesen. Er regierte ein „Heiliges Reich“, er war durch den Papst gekrönt und gesalbt; zugleich stand er christlichen Ritualen und Denkmustern äußerst skeptisch gegenüber. Gnadenlos ließ er Ketzer verfolgen – und wurde von Papst Innozenz IV selbst als Ketzer und Antichrist gebannt und verflucht. Das „Staunen der Welt“, ihr „Schrecken“ und „wunderbarer Verwandler“ – auch die Person Friedrichs ist durch viele Widersprüche zerrissen. Die islamische Hochkultur, die vom eroberten Spanien aus seit Jahrhunderten die Mittelmeer-Welt durchdrungen hatte, prägte seine Mentalität. Naturwissenschaftliches Beobachten, Erklären war damals nördlich der Alpen meist nur in rational verkümmerter magischer Form vorhanden. In der auf antikem Fundament sich entwickelnden arabischen Philosophie war es hingegen ein Grundmuster. Im Denken und Forschen des Kaisers wurde es zum Leitmotiv. In der Geschichte der Naturwissenschaften gilt er daher als bedeutendster Verhaltensforscher vor Konrad Lorenz. Sein „Falkenbuch“ ist eines der frühesten Dokumente realistischer Weltbeschreibung.
Aber auch die erotisch-sexuellen Energien des Herrschers durchbrachen alle Barrieren abendländischer Moral. In den Berichten, die die Affären, Liebschaften und Ehen des Minnesängers und Kreuzfahrers behandeln, vernimmt sein Biograph Olaf B. Rader das „Hengstgewieher südlicher Kulturen“; eine Anspielung auf den jetzigen italienischen Staatschef ist dabei kaum zu überlesen. Wenn der Verfasser Bilanz zieht, kommt er auf zwanzig und noch mehr Kinder, drei reguläre Ehefrauen und mehr als neun Mätressen.
Ebenso sprengte die Grausamkeit der kaiserlichen Justiz alle Maßstäbe. Noch 1905 erging sich Preußen-Deutschlands letzter Operettenkaiser Wilhelm II bei einem Besuch in Friedrichs Bergfestung Castel del Monte (heute eine Rotwein-Marke im Supermarkt) in sadistischen Allmachtsträumen. „Wenn ich ebenso peitschen und köpfen lassen könnte wie er …“ Eines von vielen Opfern der tyrannischen Willkür Friedrichs war sein jahrzehntelang vertrauter Sekretär und „Pressechef“, der raffinierte Jurist und elegante Rhetoriker Petrus von Vinea. Er wird vom Kaiser des Hochverrats verdächtigt und geblendet. Kurz darauf begeht er 1249 im Kerker Selbstmord.
Der Mittelalter-Experte Olaf B. Rader schreibt nicht im trockenen Kanzleistil des Durchschnitts seiner Zunft, sondern wendet sich in lebendiger und farbiger Diktion an ein bildungsbürgerlich motiviertes Lesepublikum. Dabei weist er nach, durch welche Zufälle und selektive Wahrnehmungen historische Erinnerungen entstehen und sich zu Traditionen formen. Rader erzählt keine Biographie, die von der Wiege in der Mark Ancona über die Nürnberger Kaiserburg linear zum Marmorsarg in Palermo führt. Er zeigt den „Sizilianer“ in den Konflikten seines Zeitalters in verschiedenen Rollen: als Kaiser, Feldherr, Seefahrer, Kreuzritter, Tyrann, Liebhaber und Poet. So weitet sich seine Lebensbeschreibung zum fesselnden Portrait einer exotisch-fernen Epoche aus.
Olaf B. Rader
Friedrich II
Der Sizilianer auf dem Kaiserthron
Eine Biographie
Verlag C:H. Beck
592 Seiten
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